Bewegungspädagogik nach Dore Jacobs
Die Essenerin Dore Jacobs (1894 – 1979) war Bewegungspädagogin, sie gründete eine Bundesschule für Körperbildung, aus der das heutige Dore-Jacobs-Berufskolleg hervorging. Ihr Vater war der Philosoph Ernst Marcus. Zunächst hatte Dore Jacobs Mathematik und Physik studiert, später wandte sie sich der Rhythmik und Gehörbildung zu. Sie war mit dem Mathematiker, Philosophen und Pädagogen Artur Jacobs verheiratet. Gemeinsam arbeiteten sie auf eine ganzheitliche Lebensweise hin, zu der Bewegung und Tanz gehört. Als Juden mit sozialistischer Ausrichtung konnten sie in der NS-Zeit nur im Untergrund überleben.
Das Essener Dore Jacobs Berufskolleg
Das staatlich anerkannte Berufskolleg bietet verschiedene Ausbildungen einschließlich Abitur und Fachabitur an. Die Lernatmosphäre ist sehr entspannt, Bildung findet im Klassenverband und mit themenbezogenen Lernmodulen statt. Die SchülerInnen wählen die Module selbst aus, auch ihre Lernzeit gestalten sie im Wesentlichen selbst. Das Kolleg unterstützt sie dabei umfassend. Es entsteht ein höchst individueller Lernprozess, der die größten Stärken gezielt fördert.
Das pädagogische Bewegungskonzept von Dore Jacobs
Laut Dore Jacobs ist Bewegung unsere Sprache, weil wir alle unsere Unternehmungen durch Bewegung verwirklichen. Dazu zählen alltägliche Handgriffe ebenso wie künstlerische Schöpfungen, wissenschaftliche Arbeiten oder produktive Gestaltungen (wie etwa das Handwerk). Wie wir uns bewegen und welche Haltung wir im Stehen, Gehen oder Sitzen einnehmen, formt unseren Körper und unseren Geist. Bewegung ist daher nicht nur auf einen Zweck ausgerichtet, sondern darüber hinaus eine Äußerung. Sie gehört zu den Grundproblemen des Menschen. Eine menschliche Haltung (im wahrsten Sinne die körperliche Haltung) entsteht aus seiner Lebensgeschichte. Sie ist eng mit seiner gesamten Lebensart verbunden. Gleichzeitig passen wir unsere Haltungen immer wieder an und müssen daher lebenslang lernen, uns zu bewegen. Für diesen Lernprozess definiert Dore Jacobs vier Polaritäten:
Innen- und Außenbewegung
Die Innenbewegung entsteht durch Prozesse im Organismus wie Atmung, Blutkreislauf, Tätigkeit der Organe und seelische Vorgänge. Die motorische Bewegung ist die Außenbewegung. Beide Bewegungen stehen zueinander in wechselseitiger Beziehung. Wenn sie feiner zusammenwirken, werden sie fließender und freier, damit auch lebendiger, ausdrucksvoller und beseelter. Ein Betrachter empfindet diese Bewegungen als natürlicher und authentischer. Übungen richten sich darauf, die Innenbewegung besser wahrzunehmen und ihren Einfluss auf die Außenbewegung zuzulassen. Unter anderem arbeiten die SchülerInnen an der Entfaltung ihres Atems.
Innen- und Außenwahrnehmung
Für eine gute Bewegung ist eine gute Wahrnehmung essenziell. Wiederum richtet sich diese auf die eigene Innenbewegung, genauso aber auf die äußere Umgebung. Beide Wahrnehmungskräfte müssen für eine Lebendigkeit, Wachheit und Präsenz gut zusammenwirken. Das gelingt, indem SchülerInnen eine bessere Reaktionsfähigkeit und eine sinnliche, lebendige Ausdrucksqualität entwickeln. Ihre Bewegung passt sich an ständige Veränderungen differenziert und situativ an. Dazu dienen intensive Übungen der Selbstwahrnehmung und improvisierte Bewegungen zu Musik mit einem deutlichen Bezug zum Raum und zur Gruppe.
Schwer- und Aufrichtekräfte
In jeder Bewegung müssen die Raum schaffenden Knochen und die Bewegung schaffenden Gelenke zueinander günstig stehen. Damit bietet unsere Körperstruktur der Anziehungskraft der Erde wenig Angriffspunkte. Bewegungen lassen sich dadurch mit geringstem Energieaufwand durchführen. Es gibt für die Fortsetzung des Druckes vom Boden über den Körper gegen die Schwerkraft als direkteste Linie die Transportlinie. Entlang dieser Linie wirkt die Aufrichtekraft der Schwerkraft entgegen. Die umgebende Struktur – Bindegewebe, Muskeln, Blutgefäße, Nerven – wird so aufgespannt, dass durch die Zugkräfte Weite geschaffen werden kann. Das entlastet die Gelenke und Knochen. Bei optimaler Aufrichtung wird die Muskulatur von ihrer Haltearbeit entlastet, sie kann sich entspannen.
Spannung und Entspannung
Nur durch Spannung und Entspannung entsteht eine koordinierte Bewegung. Bewegung und Ruhe wirken zusammen, denn ohne Pausen gäbe es keinen strukturierten Bewegungsablauf. Spannung und Entspannung können nacheinander, aber in verschiedenen Körperregionen auch gleichzeitig auftreten. Durch fließendes Zusammenwirken der beiden Pole, Spannung und Entspannung, gewinnt jede Bewegung eine rhythmische Qualität, auch in sehr kleinen Nuancen und Differenzierungen.